Ein Semester in Great Britain

und ich stelle fest, so anders sind die Briten gar nicht

Das Bier wird kalt serviert, BK und McD schmecken wie auf dem Kontinent, die Leute mögen Fußball, es regnet viel.

Wenn man nicht immer auf der falschen Straßenseite fahren müsste, könnte man glatt vergessen, dass man nicht in Norddeutschland ist. Gut, okay, im Supermarkt gibt es merkwürdige Sachen, komische Pies und lauter Kram der in D nur im Regal verstauben würde, außerdem ist es schweineteuer. Essen gehen ausserhalb der bekannten Fast Food-Ketten ist nicht ratsam, es gibt bestimmt Baked Beans (die Engländer essen wirklich zu allem Baked Beans), und auch die Klischees mit dem verbrannten Toast und den Schrumpelwürstchen entsprechen der Wahrheit. Aber sonst...?

Doch der Reihe nach: Im September '99 fuhr ich mit Jens, Komilitone aus HH, und palettenweise Becks im Kofferraum auf die Fähre und das "Abenteuer" begann. Der Abschied fiel mir nicht gerade leicht, denn zwölf Wochen ohne Schatzi können ganz schön lang werden, aber ich war mir sicher dass wir die Zeit gut überstehen (und ich sollte recht behalten). Bei der Ankunft in Nottingham nach ein paar Stunden Fahrt auf der falschen Seite gabs jedenfalls gleich die erste Enttäuschung - keine Unterkunft. Die Uni erwartete uns erst einen Tag später, was aber vom Timing her wegen der Fähre nicht machbar war, bloß mit Jugendherbergen u.ä. war nicht viel. Im Endeffekt liessen wir uns von ein paar freundlichen Polizisten den Weg zum "Travel Inn" weisen, so eine Art etap-Hotel, meist an Autobahnauffahrten gelegen. In good old Germany hätte das Zimmer denn so um die 70 Mark gekostet, die Briten langten hier ordentlich hin: 40 Pfund, der Kurs zu dem Zeitpunkt 1:3,15 :-( Wer konnte ahnen dass das ein Schnäppchen war im Vergleich zu dem was noch kommen sollte...

Ab dem zweiten Tag wurde von der Uni für uns gesorgt, allerdings nicht ohne permanentes Chaos - erst ein paar Tage in "Derby Hall" auf dem Campus, dann ins Broadgate Park Studentenwohnheim, währenddessen welcome-Veranstaltungen, Stadtrundfahrten, und vor allem Termine - einschreiben hier, anmelden dort, Info-Veranstaltungen, aus denen man mit weniger Ahnung rausging, als man mit reingenommen hatte, angeblich fehlende Unterlagen, die schon vor Wochen in der Post waren, ahnungslose Ansprechpartner, und dabei hatte das Semester noch nicht mal angefangen...

Die Wohnung - unter aller Kanone :-((( Dunkel, schlechte Betten, kein Gemeinschaftsraum (ausser der Küche, dort aber die Mülltonnen direkt vorm Fenster), drei unglaublich hohle Malayen, mit denen gar nichts anzufangen war, und Jens als Mitbewohner (nichts gegen Dich Jens aber man geht doch nicht nach GB, um dann mit einem Deutschen und drei Malayen zu wohnen...), das Ganze in der entferntesten Ecke der Anlage - absolut grausam. Alle Bemühungen, nochmal umziehen zu dürfen, wurden allerdings von den hilfsbereiten Menschen in der Accomodation office nach sorgfältiger Prüfung abgelehnt (Diese abgewichsten Penner haben gesehen, dass es sich um einen Erasmus-Studenten mit Aufenthaltsdauer 1 Semester handelt und umgehend die berühmt-berüchtigte Ablage P wie Papierkorb bemüht - britische Kundenorientierung würde ich das mal nennen). Dass für diese Zumutung rund 700 Pfund zu löhnen waren (für im Endeffekt vier Monate netto dort wohnen), machte die Sache nicht besser. Auf meiner Liste der ätzendsten Sachen, die mir in meinem Leben passiert sind, steht diese Episode ziemlich weit oben.

Es war nicht alles Scheisse, bevor das jetzt jemand denkt, in Bezug auf Bowling beispielsweise hatte ich die Zeit meines Lebens. In der Uni-Mannschaft durfte ich sogar die Punktspiele mitmachen und für einen winzigen Unkostenbeitrag gab es Training von und mit Mario, seines Zeichens Bowling-Guru. Nach ein paar Wochen war ich soweit, dass ich mir tatsächlich einen Ball und Schuhe gekauft hab, aber das gehört wohl eher in die Rubrik "Bowling".

Bestimmt zwei Dutzend Mal war ich im Kino, das Showcase Cinema war nur 10 Fahrradminuten oder knappe 10 Autominuten vom Wohnheim entfernt. Englischsprachige Filme kommen im Original deutlich am besten, u.a. gabs James Bond 007 The world is not enough, Tarzan (Disney), American Pie (den ersten Teil, damals ein paar Wochen bevor er in Deutschland ins Kino kam und der Hype anfing), Austin Powers - The spy who shagged me und viele mehr, klasse war das.

Großartig waren auch die Pubs auf dem Uni-Gelände, allen voran die sogenannten Union Bars neben dem Portland Building. Als England gegen Schottland das Euro 2000-Playoff Spiel hatte beispielsweise ging es hier richtig zur Sache - um 13 Uhr mittags...

Die Computerräume der Uni konnten 24 Stunden täglich genutzt werden und die Verbindung war schlicht der Hammer. Wir reden hier vom Jahr 1999 und Downloadgeschwindigkeiten von 150 KB/sec. waren an der Tagesordnung! Leider waren keine Brenner am Start aber auch so schon nicht schlecht zum Zeitvertreib.

Ach ja das Studium: Gelernt hab ich eigentlich nur sehr wenig Neues, aber das war ja auch nicht der Sinn der Sache. Gut war, dass die Dozenten alle recht jung und engagiert waren, was in Verbindung mit der guten Ausstattung von Seminarräumen, Bibliotheken und eben Computerräumen ein exzellentes Lernumfeld schuf. Das kann man bei den Studiengebühren aber auch erwarten - Gott sei Dank musste ich die als Erasmus-Student nicht bezahlen. Schlecht war, dass eine sehr starke Verschulung des Studiums vorherrschte, wenig Flexibilität. Aber die vermissen die dortigen Studenten wohl gar nicht, mangels Vergleichsmöglichkeit. Ich würde mal sagen fachlich/inhaltlich lernen die Kids (sind ja zumeist nicht älter als 20) eine ganze Menge und anders als bei uns auch etwas, was man später im Berufsleben anwenden kann, weniger akademischen Schnickschnack. Fürs Leben allerdings lernt man an britischen Unis nichts - es wird einem ja alles abgenommen. Hier passt der Begriff "Hochschule" wortwörtlich...

Was so den Punkt Lebenserfahrung angeht: So ein Auslandssemester ist Gold wert. Selbst wenn die Unterbringung diesbezüglich etwas zu wünschen übrig ließ (hätte ich wohl besser vorbereiten müssen). Aber alleine die Tatsache, Richard, Ali (Alison) und all die anderen Bowling-Spieler kennengelernt zu haben, mit denen nach dem Auswärtsspiel Leeds unsicher zu machen (bis zur berüchtigten Polizeistunde natürlich nur, 2 Uhr war Schicht - auch das gehört zu den "local customs"), allein das Shoppen in der Fußgängerzone von Beeston, die Anschaffung und Wiederveräußerung eines Second-Hand-Fahrrads und -PCs (den ich in London abholte, als ich ohnehin für ein WE im November dorthin fuhr), einfach die Tatsache gute 80 Tage am Stück (und dann nochmal 25 oder so im Januar) dort aufzuwachen, wo man nicht normalerweise jeden Morgen aufwacht, andere Dinge zu tun zu haben, andere Leute um sich rum..... ich empfehle es jedem, ausnahmslos.